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Xu Wenli

Xu Wenli uns seine Gattin He Xintong

... kam 1943 in der Provinz Jiangxi zur Welt, 1964 bis 1969 diente er in der Armee. Nach seiner Demobilisierung bekam er eine Stelle in der Pekinger Eisenbahnverwaltung. Ende der 1970er-Jahre wurde Xu zu einem der wichtigsten Organisatoren und Akteure der Demokratiebewegung. Im November 1978 brachte er die erste Nummer der Zeitschrift "Forum 5. April" heraus, die in den folgenden zwei Jahren insgesamt 18 Ausgaben produzierte. Am 9. April 1981 wurde Xu Wenli verhaftet. Vor allem, weil er im Juni 1980 auf einem Treffen mit anderen Bürgerrechtlern im Pekinger Stadtbezirk Ganjiakou die Gründung einer Oppositionspartei diskutiert hatte, wurde er wegen "Bildung einer konterrevolutionären Vereinigung" angeklagt und schließlich zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Freilassung 1993 engagierte sich Xu erneut als Demokratie-Aktivist, im November 1998 gründete er zusammen mit anderen die "Demokratische Partei Chinas". Er wurde noch im gleichen Monat festgenommen und erneut zu 13 Jahren Haft verurteilt. Am 24. Dezember 2002 durfte er auf Druck des US-Präsidenten George W. Bush "zur medizinischen Behandlung" in die USA ausreisen, wo er auf der Brown University in Providence (Rhode Island) ein Ehrendoktorat erhielt und bis 2013 unterrichtete.

Interview mit Xu Wenli (1. Juni 2014 in seinem Haus in Providence, Rhode Island, USA)

Hier finden Sie den chinesischen Text des Interviews (Übersetzung folgt)

Xu Wenli über Kontakte mit Vertretern der KP

Interviewer: Gab es damals - 1978/79 - Kontakte mit Vertretern des Systems, zu hochrangigen Politikern und Funktionären? Wie haben sie mit Euch geredet, gab es direkte Zusammentreffen?

Xu: Ich persönlich hatte keinen direkten Kontakt. Aber einige Leute haben mir erzählt, dass sie von Vertretern der Kommunistischen Partei aufgesucht wurden, und Angebote für hochrangige Positionen im ZK des Jugendverbandes oder im Sekretariat erhielten. Mich selbst hat niemand aus der KP mit solchen Vorschlägen aufgesucht, aber ich hatte zweimal direkten Kontakt: Einmal habe ich selbst [den Vize-Chefredakteur der "Volkszeitung"] Wang Ruoshui aufgesucht, weil ich meinte , dass die Zeitung großen Einfluss hätte, und ich mich bei ihr für [den kurz zuvor wegen der Veröffentlichung eines Mitschnitts des Wei-Jingsheng-Prozesses verhafteten] Liu Qing einsetzen könnte. Was Liu Qing getan hatte, war nicht illegal, es war ja ein öffentlicher Prozess, das sollte man doch auch veröffentlichen können? ... Ich bin also einfach zu seinem Büro gegangen. ... Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass er mich empfangen würde, ich wollte es einfach probieren. Ich hatte ja zuvor keinerlei Kontakt zu Wang Ruoshui gehabt. ... Er war de facto der Chefredakteur, über ihm stand nur mehr Hu Jiwei, der aber weniger das Tagesgeschäft leitete, sonder mehr ein Herausgeber war, während Wang Ruoshui als Vize-Chefredakteur faktisch die "Volkszeitung" leitete und für die tägliche Arbeit verantwortlich war.

Interviewer: Da standen Sie also einfach vor der Tür und sagten, Sie wollten Wang Ruoshui sprechen?

Xu: Genauso war es. Ich hatte noch zwei Leute mit, einer arbeitete - wie sich später herausstellte - für die Staatssicherheit. Er war aber kein hauptberuflicher Agent, sondern wurde wohl von der Staatssicherheit zu dieser Tätigkeit genötigt.

Interviewer: War er auch Mitarbeiter des "Forum 5. April"?

Xu: Ja, und ich hatte auch noch Yang Jing mit. Wir gingen also zu "Volkszeitung", um unsere Geschichte vorzutragen und um Unterstützung zu bitten, damit Liu Qing zumindest nicht vor Gericht gestellt würde. Wir meinten, dass wir nur über einen öffentlichen Prozess berichtet hätten, dass das nicht illegal gewesen sei. Unter den Redaktionen an der Demokratiemauer gab es damals zwei Meinungen, die einen glaubten so wie ich, dass es besser sei, im Hintergrund Einfluss auf die Behörden auszuüben. Ich wusste, dass die "Volkszeitung" eine Publikation mit dem Namen "Interne Informationen" herausgab, die an ranghohe Politiker ging, die man mit bestimmten Informationen in ihren Entscheidungen beeinflussen könnte. Ich meinte, man sollte die Sache nicht allzu groß öffentlich hinausposaunen, sondern im Hintergrund regeln. Andere, vor allem Yang Jing, waren jedoch anderer Meinung. Sie wollten unbedingt auf dem Tiananmen-Platz demonstrieren und einen Hungerstreik am Heldendenkmal inszenieren, um Liu Qing freizupressen. Doch meiner Ansicht nach hätte das Liu Qing nicht genutzt, sondern die Sache noch verschärft und komplizierter gemacht. Daher wollte ich Yang Jing als jemanden, der anderer Meinung war als ich, zur "Volkszeitung" mitnehmen, damit er sehen konnte, wohin seine Methode führte.

Ich hatte aber nicht gedacht, dass Yang auch noch jemanden mitbringen würde, nämlich besagten Suo Zhongkui. Ich glaube, das war nicht sein richtiger Name. Er war angeblich Schreiner und konnte Druckformen herstellen, und hat sich wohl im Auftrag der Staatssicherheit beim "Forum 5. April" eingeschlichen. "Zhongkui", sein Name steht für eine Gottheit, die böse Geister mit einer Kette dingfest machen kann, das war offenbar seine Aufgabe bei uns, daher auch dieses Pseudonym. Während der Sitzungen schien er immer zu dösen, er interessierte sich für nichts. Aber er konnte Druckformen herstellen, deswegen haben wir ihn genommen.

Yang Jing hatte ihn also mitgebracht. Ich hatte noch gar nicht gesagt, dass ich Wang Ruoshui treffen wollte, weil ich nicht wusste, wer wirklich zuständig war und wen wir treffen konnten. Mir war zwar bewusst, dass sie die unabhängigen Zeitschriften aufmerksam beobachteten, aber wer wirklich dafür zuständig war, und wie man mit diesem Thema umging, wusste ich nicht. An der Pforte fragte man telefonisch nach der zuständigen Person bzw. ihrem Sekretär. Das war Wang Yong'an, der Sekretär von Wang Ruoshui, der uns dann auch empfangen hat und meinte, das träfe sich gut, denn Wang Ruoshui sei an diesem Tag im Haus. Wie er uns genau angekündigt hat, weiß ich nicht mehr, aber er sagte, dass Wang Ruoshui uns empfangen wolle. Wir gingen also hinauf.

Wir hatten schon einen Brief vorbereitet, in dem wir unsere Hoffnung ausdrückten, die Kommunistische Partei würde diese Angelegenheit korrekt behandeln und Liu Qing freilassen. Ich zitierte darin einen Satz von Peng Zhen [dem ehemalige Pekinger Bürgermeister], der damals Sekretär des politisch-juristischen Komitees war. Er hatte gesagt, man müsse korrekt mit Bewegungen aus dem Volk umgehen, sprach von Kritik und abweichenden Meinungen aus der Bevölkerung und so weiter. Das hatte ich in dem mitgebrachten Brief zitiert. Es war meine erste Begegnung mit Wang Ruishui, und ich wusste noch nicht, dass er Vize-Chefredakteur war und ein Teilnehmer des "Forums für Theoriearbeit" [wo Anfang 1979 politische Irrwege der "Kulturrevolution" und Maos kritisiert wurden]. Dieses Forum war äußerst wichtig, weil es faktisch zeitgleich mit der Bewegung der Demokratiemauer stattfand. Wang Ruoshui war ein führender Vertreter dieser parteiinternen Strömung, aber das wusste ich damals alles noch nicht.

Wir waren noch gar nicht in seinem Büro, sondern standen in einer Art Korridor, als er uns begrüßte. Wir übergaben ihm den Brief, den er aufmerksam las. Er machte nur eine kurze Bemerkung: "Ich kenne die Bedeutung dieses Satzes von Peng Zhen, den ihr zitiert, ich schlage aber vor, ihn wegzulassen." Als ich das hörte, fühlte ich mich sofort erleichtert, weil er noch besser als wir die Aussage des Politikers verstanden hatte. ... Dass wir Peng Zhen lieber nicht zitieren sollten, damit meinte er, dass wir ihn nicht zu sehr beim Wort nehmen sollten. Du, Peng Zhen, hast gesagt, dass man die Kritik aus dem Volk respektieren soll. Dass man also jemanden, der Kritik äußert, nicht bestrafen darf. Das könnte Peng Zhen vielleicht nicht behagen, auch wenn Wang das nicht so deutlich ausgesprochen hat. Dass er meinte, er verstünde, warum wir Peng Zhen zitierten, sollten es aber besser nicht tun, bestärkte mich darin, dass er uns helfen wollte. Und dass die Sache vielleicht schlimmer würde, wenn wir einem Politiker etwas unterstellten. Peng Zhen war damals der Hauptverantwortliche für den Umgang mit Fällen, wo jemand als Feind der Revolution beschuldigt war, und für den Umgang mit Dissidenten. Wir sollten ihn daher nicht gegen uns aufbringen, sondern einfach schreiben, dass man Liu Qing nicht vor Gericht stellen und freilassen sollte. Wir haben den Brief dann neu geschrieben und ihn nochmals abgeschickt.

Das war also meine erste Begegnung mit einem hohen kommunistischen Funktionär, den ich aus eigenem Antrieb aufgesucht hatte. Der zweite war ein gewisser Tang Xin, der uns als Journalist im Namen der Kommunistischen Partei aufsuchte, um uns zu interviewen. Er arbeitete für die die "Internen Informationen" der "Pekinger Tageszeitung". Drei Politiker hatten ihn mit diesen Recherchen beauftragt, das waren Deng Yingchao [Politbüromitglied und Witwe von Zhou Enlai], Chen Yun [Vize-Parteivorsitzender] und eben Peng Zhen. ... Er hat mir das viel später selbst so gesagt, da war er schon in Ungnade gefallen und von den "Internen Informationen" zur Landwirtschaft versetzt worden. Tang Xin war nämlich der Sohn des [früheren Metallurgie- und Erdölministers] Tang Ke.

Tang Xin sollte also im Auftrag der genannten Politiker die "Mauer der Demokratie" erkunden. Er hat über unsere Redaktionen einen durchaus netten Bericht verfasst. Ich habe ihn gelesen, besitze aber selbst kein Exemplar. Er hat darin viele Details zur Demokratiebewegung skizziert und seine Einschätzungen formuliert. ... Er beschrieb auch die wichtigsten Mitglieder jeder einzelnen Redaktion, vor allem die tonangebenden Leute, die Zahl der jeweiligen Mitarbeiter, die politische Ausrichtung, die leitenden Persönlichkeiten. Ich erinnere mich ganz gut, auch zu Chen Ziming und Wang Juntao hat er das gesagt,  er hat unser "Forum 5. April" als Langstreckenläufer bezeichnet, [Wei Jingshengs] "Erkundungen" hingegen als Kurzstreckenläufer. In der Politik könnten nur Langstreckenläufer bestehen, die anderen würden bald einknicken, an diesen Satz erinnere ich mich genau. Er hat auch über mich geschrieben und gemeint, unter all den führenden Vertretern der unabhängigen Zeitschriften sei ich relativ moderat und reif gewesen. In seinen Beurteilungen hat er mich jedenfalls am positivsten eingeschätzt. In seiner Zusammenfassung am Schluss hat er das sogar noch schöner gesagt.

Interviewer: Wie sind Sie an diesen Bericht gelangt?

Xu: Später, Ende 1979, als Vertreter des ZK des Jugendverbandes einmal mit uns gesprochen haben. Einer hieß Tang Ruoxin, er leitete das Büro für politische Strategie. Ein anderer hieß Zhong Peizhang, auch er war vom Büro für politische Strategie, ein ehemaliger "Rechtsabweichler". Sie haben uns, die Vertreter der Demokratiemauer, die damals noch nicht verhaftet waren, Ende 1979, oder vielleicht war es Anfang 1980, zu einem Gespräch eingeladen. Sie befragten uns ein oder zwei Mal zu unseren Ansichten und Meinungen. Tang Ruoxin hat mir damals den Tang Xins Bericht zu lesen gegeben, mit den Worten, eigentlich haben wir euch einigermaßen verstanden, schau her, Tang Xin schreibt sehr positiv über euch.

Interviewer: Wieviele Leute wart Ihr?

Xu: Mehr als zehn, jeweils ein paar von den verschiedenen Zeitschriften. Wir haben mehrere Stunden geredet. ... Sie haben selbst nicht viel gesagt, sondern nur gefragt, wie wir die Demokratiemauer sehen, welche Kritik oder Meinungen wir hätten, das wollten sie von uns gerne hören. Mein Eindruck war damals, dass sie ziemlich ehrlich und entspannt waren. Tang Ruoxin hatte mir Tang Xins Bericht zum Lesen gegeben, mit seiner Schlussfolgerung, wohin China in Zukunft gehen müsse. Man konnte erkennen, dass Tang so etwas wie Sympathie für uns hegte, ein wenig Sympathie jedenfalls. Er meinte, dass es in China unterschiedliche, auch kritische, Meinungen geben müsse. Sein Bericht war sehr ausführlich. Man sollte ihn irgendwo finden können, das war nichts Geheimes. Später habe ich dann gehört, dass Tang Xin im Auftrag dieser Politiker Nachforschungen über uns anstellte, bis in unsere Familie, er kam zu mir nach Hause, um mich zu interviewen.

Ich war damals noch misstrauisch. Warum wurde das simple Gespräch, das ich mit Wang Ruoshui geführt hatte, zu einem Problem für ihn? Das beschäftigte mich, ich glaubte, dass Wang Yong'an damit zu tun hatte. Wang Ruoshui hat das später verneint. Er sagte, das waren unsere Leute, einer von denen, die ich mitgebracht hatte. Also Suo Zhongkui, denn Yang Jing konnte es nicht gewesen sein. ... Wir hatten den korrigierten Brief noch nicht einmal weggeschickt, erst nach zwei oder drei Tagen haben wir ihn hingebracht, da hatten das Zentralkomitee der KP und Deng Xiaoping schon einen bitterbösen Bericht des Ministeriums für öffentliche Sicherheit bekommen, in dem stand, dass Wang Ruoshui mit Xu Wenli und den unabhängigen Zeitschriften sympathisierte. ... Wang hat mir später erzählt, dass ein solcher Bericht schon kurz nach unserem Treffen, vielleicht einen halben Tag später, in Deng Xiaopings Büro einlangte.

Deng tobte, wie könne es sein, das unser Sprachrohr, die offizielle Zeitung der Partei, mit denen Kontakt pflege, ihnen sogar Ratschläge gebe, wie sie Peng Zhen bei Laune halten sollten. Solche Details standen in dem Bericht. Sie schickten dann Hu Yaobang, der Wang Ruoshui fragen sollte, warum er solche Beziehungen pflegte. Wang Ruoshui blieb ganz ruhig, antwortete, es gebe keine Kontakte, das sei ein zufälliges Treffen gewesen. Später hat man Wang Ruoshui unter anderem wegen dieses Gesprächs mit uns aus der KP ausgeschlossen und mit einem Disziplinarverfahren belegt. Das passierte später, 1987 in der Kampagne gegen "bürgerliche Liberalisierung". [Wang emigrierte nach dem Parteiausschluss in die USA.] Wang Ruoshui hat versucht, gegen die Beschuldigungen zu argumentieren. Er sei in Wirklichkeit nicht so, hätte genau gewusst, wer Xu Wenli war. Vielleicht hatte er durch Wang Yong'an Informationen über mich gehabt. Wir haben auch jede einzelne Nummer der unabhängigen Zeitschriften an die Redaktion der "Volkszeitung" geschickt, sie konnten sie also lesen. Zu Hu Yaobang hat er damals gesagt, Xu Wenli ist relativ gemäßigt und besonnen, gar nicht so, wie er geglaubt hätte. Hu Yaobang hat mit nur einem Satz geantwortet: Xu Wenli ist jemand, der erst aufgibt, wenn es wirklich nicht mehr geht. Er wolle mit dem Kopf durch die Wand, bis wirklich Blut fließt; da brauche er sich auch nicht für ihn einsetzen. Wang hat das später in einem Artikel erwähnt, das Buch steht bei mir zuhause, er hat das Vorwort geschrieben, dort hat er diese Worte von Hu Yaobang zitiert, und wie er mich eingeschätzt hat. ...

Schrift:

Die chinesische Demokratiebewegung 1978-1981 – Erinnerungen der damaligen Akteure

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